Gott sei’s gedankt, dass ich die Beschreibung der gestrigen Etappe erst heute im Reisefuehrer nachgelesen habe. Es heiszt da doch tatsaechlich: „Man fuehlt sich gaenzlich allein und ab einem gewissen Punkt mag auch der Glaube fehlen, noch auf eine Ortschaft zu stoszen.“ Na gut, dass ich weiter gegangen bin, denn sonst waere ich irgendwo in dieser von schwarz-grauen Schlangen bewohnten (Iiiieeeehh!) Einoede liegen geblieben.
Apropos liegen geblieben: Heute sind wir durch Atapuerca gewandert. Ein kulturtraechtiger kleiner Ort, der seit dem Jahr 2000 groszes Ansehen vor allem unter Archaeologen genieszt. Dort wurden naemlich die menschlichen Ueberreste des 800.000 Jahre alten „Homo Antecessors“, dem Vorgaenger des Homo Sapiens und somit „aeltesten Europaeers“, gefunden. Ich stelle ihn mir als buckeligen kleinen „Menschen“ vor, der eben in Atapuerca vermutlich unter seiner Last zusammen gebrochen, ergo in Folge von Ueberanstrengung auf seinem Camino liegen geblieben ist. Haette er seinen Rucksack besser gepackt, waere ihm das meiner Meinung nach nicht passiert …
Knochenfunde habe auch ich heute gemacht, als ich im hohen feuchten Gras meine staubigen Schuhe reinigen wollte… In dem Moment spazierte auch gerade ein Hund maulschleckend und mit zufriedener Miene an mir vorbei.
Apropos Hund: Mittags haben wir aus Versehen Blutwurst-Tapas bestellt… Nachmittags haben wir uns fuer den falschen Weg entschieden und sind stundenlang auf Feldwegen gewandert, die vom Verkehr her eher einer schwer befahrenen Transitstrecke gleichen. DIe Lastwaegen sind en masse an uns vorbei gezogen und haben uns den Genusz beschert, den aufgewirbelten Staub in unsere Lungen zu atmen – WAS fuer eine Wohltat : – ( ! Aber auch solche Etappen bietet der Camino. Aber ich schwenke schon wieder ab. Eigentlich wollte ich was zum Thema Hund/e schreiben: Es gibt hier – die von uns so bezeichnete – Schweinsohrensuppe. Schaut grauenhaft aus, schmeckt vermutlich auch so. Ich werde mich hueten das irgendwo zu bestellen, andererseits bei den oben erwahnten „Morcilla de Burgos“ habe ich mich auch sehr sicher gefuehlt. Man sollte eben wirklich VORHER seinen Reisefuehrer durchlesen, denn gerade vor solchen Spezialitaeten, die mit Vorsicht zu genieszen sind, wird dort eindruecklich gewarnt.
Egal. Es war ein ambivalenter Tag heute. Beim steilen Anstieg von Atapuerca aus rauf auf den Pass (1078 m) Richtung Burgos habe ich alle/s verflucht und ins gedankliche Fegefeuer geschickt, was Gott verboten hat. Heute hatte ich zum allerersten Mal den Eindruck, dass sich nun ( nach dem Koerper) auch meine Seele auf den Camino eingestellt hat. Nach Tagen der Ablenkung habe ich mich in meinen Vorstellungen, Gedanken und Ueberlegungen wieder in Wien eingefunden, das ich bis dato so herrlich geschafft habe zu verdraengen. Was zum Teufel mache ich immer falsch?, lautet wieder einmal die Frage, mit der ich mir so gern mein Hirn zermartere. Gar nix sollte die Antwort in Wahrheit lauten, doch ganz so weit bin ich nun halt auch noch nicht. Es will mir nicht eingehen, dass mein Leben mich beruflich/gesundheitlich/familiaer/privat immer wieder an meine Grenzen bringt. (Und jetzt fange ich an zu jammern) Wieso muss ICH mit all diesen Extremsituationen/diesen Belastungen leben, wo doch andere immer wieder auf die Butterseite des Lebens zu fallen scheinen. […] Niemand, weder meine Familie, mein Partner noch meine besten Freunde koennen sich vorstellen, was es eigentlich bedeutet, tagtaeglich SO auf seinen Koerper hoeren und schauen zu muessen, wie ich das seit Jahr und Tag schon tun MUSS. Meine Bierlaune (ich trinke gerade eine Dose „Alhambra“-Bier) soll mich dafuer entschuldigen, solch persoenliche Emotionen hier in MEINEM Blog zu veroeffentlichen. Es ist mir ehrlich scheiszegal, wichtig ist nur mal, das auch niederzuschreiben. Noch oeffentlicher als meine offen zur Schau gestellten Unterhosen zum Trocknen am Rucksack, sind diese Gefuehle dann ja auch nicht mehr.
Wer mich kennt, kennt auch diesen Jammer. Ich bin ehrlich froh und dankbar dafuer, dass ich dieses Jahr ein ganzes Monat aus meinem Alltag aussetzen und den Camino gehen DARF – Endlich einmal etwas, was nichts mit MUSS/MUESSEN zu tun hat.
Mein derzeitiger Hochgenusz ist einzig und allein, mit meinem Trekkingstock ins frisch geschnittene Heu am Wegesrand zu stechen und es in die Luft zu wirbeln. Wenn das kein Entkommen aus dem Alltag ist, dann weisz ich auch nicht.
Ps.: Wir sind heute wieder 6 Km mit dem Bus gefahren – durch die Einfallsstrasze respektive durch das Industriegebiet einer Stadt zu marschieren, ist halt auch ned so lustig.
2 Kommentare
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hy spatz!
glaub mir, ich versuche mir das immer wieder vorzustellen, wie es dir im alltag geht.
wenn ich könnte, würde ich dir wenigstens ein bissl der last abnehmen, doch das kann ich nicht.
ich kann dich nur unterstützen wo´s geht, ich bin immer für dich da.
bussi
nina
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my dear…ich weiss…es ist und kann beschissen sein und an mancher grenze möchte man aufgeben, und plötzlich gehts doch noch irgendwie…
was red ich da: ich kanns natürlich niemals so erleben wie du, hab dafür manchmal oder auch oft nen berg vor mir, der sich auf mich stürzt und ich ihn verfluche und garnet will…
du verdienst höchste achtung und demut von denen, die es meinen besser zu wissen.
von denen die meinen dich nicht voll und ganz zu respektieren, weil sie selbst noch nie wahren respekt oder demut spüren konnten.
von denen die meinen dich aus diesem grund richten zu dürfen.
und unterm strich können wir alle nur unser bestes geben. und auch das verdient anerkennung und wertschätzung…du gehst, und bleibst nicht stehen um zu jammern, sondern um vielleicht nur verstehen zu wollen.
ich wünsche dir, dass du bald antworten auf deine fragen bekommst…vielleicht hat der camino sie ja noch als geschenk verborgen.
respekt, liebste agnes!
ich bin stolz dich zu meinen freunden zählen zu dürfen.
abrazio tierno,
babs